Bildungsverweigerung
9. April 2013
Zur kritischen Verhandlung von Bildung in der modernen Tradition des Romans von „Anton Reiser“ bis zu „Jakob von Gunten“
Arbeitstreffen
Die Entwicklung an europäischen Schulen und Hochschulen wirft spätestens seit Pisa-Studien und Bologna-Reform die Frage auf, über welches Bildungskonzept unsere Gesellschaft gegenwärtige eigentlich verfügt. Das Problem ist nicht neu. Auch schon im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts streiten sich die Gelehrten um die Frage, nicht nur wie, sondern auch was im Menschen gebildet wird: kognitive Fähigkeiten? Gaben? Charaktereigenschaften? der ganze Mensch? spezifische Leistungen? Hinter diesen Fragen steht die Zerrissenheit der Bildung zwischen Kultur und Gelehrsamkeit einerseits, gesellschaftlicher Formierungs- und Integrationsarbeit andererseits.
Privilegierter Ort der Verhandlung dieser Fragen ist bekanntlich der so genannte Bildungsroman. In diesem werden – wie bereits sein Prototyp, Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, zeigt – Vorstellungen und Bereiche der Bildung auf verschiedenen Ebenen ausgelotet, vor allem wird aber Bildung zunächst grundsätzlich zur Disposition gestellt.
Das Moment der Bildungsverweigerung, so die Prämisse des Arbeitsgesprächs, ist der modernen Tradition des Romans von Karl Philipp Moritz und Jean Paul über E.T.A. Hoffmann und Adalbert Stifter bis hin zu Robert Musil und Robert Walser – vielleicht sogar bis Thomas Bernhard – inhärent. So wohnt schon Moritz’ psychologischen Roman Anton Reiser ein gegenüber der paradigmatischen Verknüpfung von Bildung und Leben agonales Moment inne. Skepsis gegenüber den Goetheschen Bildungsidealen bringt der Roman dadurch zum Ausdruck, dass er das Bildungsnarrativ vor dem Hintergrund individueller und gesellschaftlicher Dispositionen und Schicksale scheitern lässt. Insofern gilt es hier zu fragen, inwiefern der Bildungsromantradition bereits bei ihrer „Grundsteinlegung“ ein Fundament eingezogen wurde, dass Bildung als ein grundlegend wackeliges, von steten Infragestellungen und Widerständen durchzogenes Konzept erscheinen lässt.
Dieses Moment der Verweigerung von Bildung und die damit verbundenen literatur- und kulturhistorischen Verschiebungen in dem historischen Zeitrahmen, der die letzten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bis zur Krisenzeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg umspannt, soll das Arbeitsgespräch erschließen. Formen der Verweigerung sollen bis hin zum gänzlichen Leerlauf des Bildungsgedankens bzw. bis zur „Unbildung“ studiert werden – sei es, dass Bildungsinstitutionen sich konsequent weigern, Subjekte zu bilden (Jakob von Gunten), sei es, dass diese Subjekte eine Absage an die Vorstellung eines Menschenbildes erteilen, die den Horizont von Bildung seit dem 18. Jahrhundert ausgemacht hat (Die Verwirrungen des Zöglings Törleß).
Im Mittelpunkt des Arbeitstreffens steht der Austausch über literarische Varianten von Bildungsverweigerung auf der Grundlage von Passagen aus den einschlägigen literarischen Texten. In kurzen einleitenden Vorträgen stellen die Teilnehmenden ihre Lektüren und Interpretationsansätze zu den vorgeschlagenen Primärtexten vor. Auf dieser Grundlage soll Bildungsverweigerung als ein dem modernen Bildungsdiskurs inhärentes Phänomen kontrovers diskutiert werden.
Das Arbeitstreffen ist für alle Interessierten offen.
Di, 9. April 2013, 9:30 Uhr
Universität Konstanz, Y 310
Kontakt
Um Anmeldung wird gebeten: Dr. Eva Blome, eva.blome[at]uni-konstanz.de
Konzeption und Organisation
Dr. Eva Blome (Universität Konstanz) und Dr. Maud Meyzaud (FernUniversität in Hagen)
- Dateien:
Bildungsverweigerung_Programm.pdf107 Ki